Miteinander reden - Miteinander lernen

Das Schweißtuch der Veronika

Diese Passionsandacht können sie hier auch als Videoandacht ansehen.

Lesung

Wir hören aus dem Buch des Propheten Jesaja 53,2-3:

Er hatte keine schöne und edle Gestalt, so dass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm. Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht.

Wir hören aus dem Buch der Psalmen (Psalm 27,8-9):

Mein Herz denkt an dein Wort: Sucht mein Angesicht! Dein Angesicht, Herr, will ich suchen. Verbirg nicht dein Gesicht vor mir!


Menschen wie Veronika

Jerusalem, wir schreiben das Jahr 33 n. Chr.

Drei Männer tragen ihr Kreuz zum Kalvarienberg. Ein qualvoller Tod erwartet sie. Einer von ihnen ist mit Dornen gekrönt. Schaulustige säumen den Straßenrand. Sie wollen das Spektakel aus nächster Nähe erleben. Einige geben zynische Kommentare. Andere schweigen, stumm vor Entsetzen.

Der Verurteilte mit der Dornenkrone ist Jesus aus Nazareth. Man spricht über ihn. Ist er nicht ein Wanderprediger? Von Wundern wird berichtet. Den Schriftgelehrten gilt er als aufrührerischer Gotteslästerer. Etliche Menschen folgten Jesus, auch zwielichtige Gestalten, darunter, so munkelt man, ein Zöllner und eine Ehebrecherin. Wo sind eigentlich die Jünger Jesu? Ihr Anführer wird gekreuzigt - und sie verstecken sich…

Die Verurteilten ziehen vorüber. Plötzlich tritt eine junge Frau aus der Menge hervor. Ihr Name ist Veronika. Voll Mitleid sieht sie, wie Jesus unsagbar leidet. Blut rinnt ihm über die Stirn. Sie kann Jesus nicht helfen, das Kreuz zu tragen. Aber Veronika spürt, dass sie etwas tun muss. Also bahnt sie sich ihren Weg durch die Schaulustigen und die römischen Soldaten. Wird man sie zurückdrängen? Werden die anderen sie auslachen oder beschimpfen? Na wenn schon, denkt sich Veronika vielleicht. Das Gerede kümmert sie nicht.

Veronika fasst Mut und handelt, nach ihren Möglichkeiten. Sie reicht Jesus ein Schweißtuch. Auf dem Weg zur Schädelstätte hält er für einen Augenblick inne und trocknet sein Gesicht ab.

Menschen wie Veronika haben das Herz auf dem rechten Fleck. Sie ergreifen die Initiative, wo andere ängstlich zurückbleiben. Menschen wie Veronika handeln, während die übrigen bloß vernehmlich jammern. Menschen wie Veronika tun, was in ihren Kräften steht. Menschen wie Veronika zeigen Engagement, wo viele nur mäkeln oder resignieren. Menschen wie Veronika wissen einfach: Christ sein heißt da sein für den Nächsten.

Veronikas Geste kann auch uns heute zu denken geben. Menschliches Leid hat viele Gesichter. Wir sind etwa konfrontiert mit dem Hunger in der Welt, mit sozialer Not in unserer Stadt, mit kranken und hilfsbedürftigen Menschen in unserer Nähe.

Glauben nicht auch wir… Dass der Euro für die "Dritte Welt" nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist? Dass unsere begrenzte Kraft niemals ausreicht, um wirksam Hilfe zu leisten? Fühlen wir uns nicht hilflos, dass wir einen Verwandten, Freund oder Nachbarn im Krankenhaus nicht besuchen können? Ein paar nette Worte am Telefon, was bringt das schon? Oder ein Kärtchen schreiben ... das ist doch alles viel zu wenig.

Nein, Ihr Lieben, es ist nicht zu wenig. Es ist soviel mehr, als wir denken! Wir bekunden unsere Verbundenheit durch die Kraft des Mitgefühls, durch jede noch so kleine Gabe, durch jedes Gebet. Für den Leidenden, der spürt, dass seiner gedacht wird, ist das nur scheinbar Wenige unendlich wertvoll.

Denn er weiß, dass er nicht allein ist. Erinnern wir uns auch an die Worte Jesu: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“

Unsere Welt braucht Menschen wie Veronika. Die hinsehen und handeln.

Gebet

Wir beten.

Blut steht Dir im Gesicht.
Ist da wirklich niemand, der Deine Schmerzen lindert?

Doch eine Frau!
Mutig geht sie zwischen den Soldaten hindurch,
fürchtet sich nicht vor ihren Zoten.

Sie sieht nur Dein verletztes Gesicht.
Mit ihrem Tusch erfrischt sie Dich
zart und behutsam.


Jesus Christus, Du gehst durch Leiden und Tod;
denn Du glaubst an das Leben.

Lass uns mit Dir auferstehen. Amen.

Gebet aus einem Misereor-Kreuzweg aus Lateinamerika, 1992