Miteinander reden - Miteinander lernen

Die Kreuzesnägel

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Schriftlesung

Im Licht des 22. Psalms haben die ersten Christen die Passion Jesu gedeutet.
Im Blick darauf hören wir einige Verse aus diesem Psalm:

Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, /
alle meine Gebeine haben sich zertrennt;

mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs.

Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, /

und meine Zunge klebt mir am Gaumen,
und du legst mich in des Todes Staub.

Denn Hunde haben mich umgeben, /

und der Bösen Rotte hat mich umringt;

sie haben meine Hände und Füße durchgraben.

Ich kann alle meine Gebeine zählen; sie aber schauen zu und weiden sich an mir.

Die Kreuzesnägel

Zu den „Arma Christi“, zu seinen Leidenswerkzeugen gehören stets die Kreuzesnägel und der Hammer, auch wenn diese in den Passionsberichten der vier Evangelien nicht ausdrücklich erwähnt werden, sondern hier nur vom „Kreuzigen“ die Rede ist.

Dass Jesus ans Kreuz angenagelt worden ist, lässt sich aber aus den neutestamentlichen Ostergeschichten entnehmen. So wenn Thomas auf das Osterzeugnis seiner Mitjünger mit den Worten reagiert: „Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich’s nicht glauben.“ (Joh 20,25) Und laut dem Lukasevangelium weist der auferstandene Jesus die Furcht der Jünger zurück, die glauben einen Geist zu sehen, indem er auf seine Hände und Füße verweist (Lk 24,39).

Die Kreuzigung Jesu dürfte nach allem, was wir wissen, wahrscheinlich so erfolgt sein: Nach einem außerordentlichen Gerichtsverfahren verurteilte der römische Präfekt Pontius Pilatus den jüdischen Propheten und Lehrer Jesus von Nazareth zum Tode am Kreuz wegen Aufruhrs (seditio) gegen die Staatsgewalt. Darauf deutet der Kreuzestitulus: Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum (abgekürzt: INRI; auf Deutsch: Jesus von Nazareth König der Juden), womit behauptet wird, Jesus habe für sich die Messias-, d.h. Königswürde in Anspruch genommen – was allerdings historisch gesehen eher fraglich ist.

Die von römischen Soldaten vollstreckte Exekution vollzog sich in mehreren Akten: die Geißelung, dann das Tragen des Querbalkens (patibulum) zunächst durch Jesus selbst und wohl nach dessen Zusammenbruch durch Simon von Kyrene zur Hinrichtungsstätte Golgotha, weiter das Fesseln und Annageln des Körpers Jesu an den Querbalken und schließlich das Hochheben und Verbinden desselben mit dem bereits im Boden senkrecht eingelassenen Pfahl.

Die Nägel wurden durch die Handwurzelknochen oder den Raum zwischen Elle und Speiche sowie durch das Fersenbein getrieben. Letzteres ist bezeugt für einen Gekreuzigten aus dem 1. Jahrhundert n.Chr., dessen Gebeine in einem Ossuar (d.h. einer Knochenkiste) in Jerusalem aufbewahrt worden sind. Die 1968 gefundenen und 1984 erneut untersuchten Knochen belegen eine Annagelung der Füße.

Die Kreuzigung ist sicher eine der brutalsten Hinrichtungsarten, die sich Menschen haben einfallen lassen. Verbreitet war sie in der Antike bei vielen Völkern. Die Römer wandten sie an zur abschreckenden Bestrafung von Sklaven. Aber nicht nur das. Als Statthalter der Provinz Africa ließ Varus nach dem Tod von König Herodes jüdische Aufständische in großer Zahl kreuzigen. Und der römische Feldherr und spätere Kaiser Titus ließ während des jüdisch-römischen Kriegs im Jahr 70 n.Chr. täglich mehr als 500 vor Hunger flüchtende Juden vor der Jerusalemer Stadtmauer kreuzigen, um die Widerstandskraft der Belagerten zu schwächen.

Der gekreuzigte Jesus steht damit in der Gemeinschaft Unzähliger, die bis auf den heutigen Tag – Gott sei es geklagt! – als Unschuldige und Verfolgte von anderen, die die Macht besitzen, gequält, gefoltert und umgebracht werden.

Für Jesus beschreibt dies Michael Weiße eindringlich in seinem Passionslied „Christus, der uns selig macht“ (EG 77, 4): „Um Sechs ward er nackt und bloß an das Kreuz geschlagen, an dem er sein Blut vergoss, betet mit Wehklagen; die Zuschauer spott’ten sein, auch die bei ihm hingen, bis die Sonne ihren Schein entzog solchen Dingen.“

Was daraus für uns Christen folgt, macht Weiße in der Schlussstrophe deutlich: „O hilf, Christe, Gottes Sohn, durch dein bitter Leiden, dass wir dir stets untertan Sünd und Unrecht meiden, deinen Tod und sein Ursach fruchtbar nun bedenken, dafür, wiewohl arm und schwach, dir Dankopfer schenken.“ Mit anderen Worten: Jesus, der um seiner grenzenlosen Liebe willen ans Kreuz geschlagen wurde, ruft uns in seine Nachfolge, auf dass wir im Gehorsam gegenüber seinem Wort für das Recht der Schwachen und Entrechteten sowie der ganzen geschundenen Kreatur eintreten. Unser Dankopfer für Jesu Leiden und Sterben besteht darin, dass wir, statt zu quälen und zu zerstören, Wunden verbinden und ein „Haus des Lebens“ erbauen, in dem alle Menschen Raum finden.

In der Nachfolge dessen, der bei seinem Vater Joseph das Bauhandwerk erlernte – mit Nägeln und Hammer, ohne dass diese Werkzeuge zweckentfremdet werden.


Gebet
Wir beten.

Herr, unser Gott.
Das Kreuzigung Jesu macht uns erschreckend deutlich, wozu Menschen fähig sind.

Nicht nur vor 2000 Jahren, sondern bis in unsere Gegenwart. In vielen Ländern dieser Welt werden Menschen gequält, gepeinigt und ermordet.

Und wir schauen zu oder sehen weg – gehen jedenfalls zur Tagesordnung über.

Wir bitten dich: Mache uns sensibel für das Leiden der anderen und weise uns Wege, wie wir helfen können, dass menschliches Leiden verhindert werden kann und dass die Leidenden wieder eine hoffnungsvolle Lebensperspektive erlangen.

Jesus Christus, Du gehst durch Leiden und Tod;
denn Du glaubst an das Leben.

Lass uns mit Dir auferstehen. Amen.

© Prof. Dr. Werner und Dorothea Zager, Worms

Fotos: Isenheimer Altar, Museum unter den Linden, Colmar
alle weiteren Fotos: 123rf/Dorothea Zager